Großer Schritt in ein selbstbestimmtes Leben

Für einen jungen Autisten wird eine Arbeitsstelle zum großen Schritt in ein selbstbestimmtes Leben

Konzentriert tippt Johann Sittauer die Preise von Shampoo, Duschbad und Zahnpasta in die Kasse ein. Im Drogeriemarkt Rossmann im Regensburger Alex-Center herrscht gerade Hochbetrieb. Die Kunden drängen sich an der Kasse. Nach mehreren Stunden Zahlen tippen, geht dem jungen Mann die Konzentration aus. Er wird nervös. Nur keinen Fehler machen, denkt er. Da legt seine Kollegin Jacqueline schon den Arm auf seine Schulter. „Ich glaube, du brauchst eine Pause“, meint sie und übernimmt.

Was die Kunden in der Schlange vor der Kasse nicht wissen: Johann Sittauer ist Autist und schwerbehindert. Um erfolgreich im Arbeitsleben stehen zu können, braucht er vor allem eins: Verständnis von seinem Arbeitgeber und Kollegen. Nach einer überbetrieblichen Ausbildung als Verkäufer bewarb er sich jahrelang erfolglos. „Ich habe unzählige Praktika gemacht“, erinnert sich der 33-Jährige. „Nichts hat geklappt.“ Dann schickte ihn die Agentur für Arbeit zum Integrationsfachdienst Oberpfalz (ifd), der auf berufliche Fragen von Menschen mit Behinderung spezialisiert ist. Mit Hilfe der Berater gelang ihm endlich der Sprung in ein festes Arbeitsverhältnis. „Inzwischen habe ich einen unbefristeten Arbeitsvertrag in der Tasche“, erklärt er stolz.

Bis dorthin war es ein langer Weg. Autismus hat viele Ausprägungen. „Bei Herrn Sittauer muss man wissen, dass er sich schwer tut, auf fremde Menschen zuzugehen“, erklärt die ifd-Beraterin Verena Ninding. „Im Verkauf ist das eigentlich ein Ausschlusskriterium. Doch es war sein sehnlichster Wunsch.“ Die ifd-Berater, die im Auftrag von Sozialversicherungsträgern für behinderte Menschen auf Arbeitssuche gehen, hängten sich ans Telefon auf der Suche nach einem Arbeitgeber. „Bei der Bezirksleiterin von Rossmann stießen wir sofort auf offene Ohren“, freut sich Ninding.

Nach einem persönlichen Gespräch im Unternehmen startete Johann Sittauer mit einem Praktikum. „Ich merkte sofort, dieser junge Mann möchte es in seinem Wunschberuf schaffen“, erklärt die Bezirksleiterin Michaela Aschenbrenner. „Wir wollten ihm eine Chance geben.“ Um ihm den Einstieg zu erleichtern, informierte die Bezirksleiterin das gesamte Team von dem neuen Mitarbeiter mit Behinderung. „So wusste jeder Bescheid. Da kommt jemand, dem fällt vieles nicht so leicht.“ Der ifd informierte, dass es für einen Autisten schwieriger sein kann, Abläufe zu erlernen.  Vieles müsse öfters geübt werden als mit einem Mitarbeiter ohne Behinderung. „ Alle aus meinem Team haben mir Unterstützung zugesagt“, erklärt Aschenbrenner stolz.

Dass die Kollegen mit der Beschäftigung eines behinderten Menschen einverstanden sind, sei   wichtig für das Gelingen einer beruflichen Eingliederung, erklärt Ninding. „Gerade am Anfang sind Akzeptanz, Geduld und Einfühlungsvermögen gefragt.“ In diesem Fall sei es optimal gelaufen. „Die Mitarbeiter haben sich im Vorfeld auf den Menschen mit Behinderung eingestellt.“ Als Autist sei es Johann Sittauer zunächst schwer gefallen, mit den neuen Kollegen umzugehen und einen persönlichen Draht zu finden. Auch die Einarbeitung habe länger gedauert. „Er traute sich vieles nicht zu“, erinnert sich Aschenbrenner. Über mehrere Monate hinweg begleitete der ifd das Praktikum im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung. „Die Kollegen waren nett und hilfsbereit“, erinnert sich Sittauer. „Das hat es mir leicht gemacht.“

Schnell habe er gemerkt, dass man tatsächlich daran interessiert war, ihn langfristig zu beschäftigen. „Das spornte mich an“, sagt er. „Seine Leistungen wurden beständig besser und er hat die Herzen meiner Mitarbeiter erobert“, bestätigt Aschenbrenner. „Für uns war klar, dass wir mit ihm einen Glücksgriff machen. Klar braucht er noch oft länger. Aber er ist absolut loyal, fleißig und lässt uns spüren, dass er sich freut im Team zu sein. Das wirkt sich positiv auf alle aus.“ Als eine Stelle frei wurde, packte Aschenbrenner die Gelegenheit beim Schopfe und gab Sittauer den lang ersehnten unbefristeten Arbeitsvertrag. „Der ifd unterstützte uns dabei, finanzielle Hilfen zu beantragen, um für uns als Arbeitgeber den erhöhten Aufwand und die Mehrarbeit auszugleichen.“

Eine neue Herausforderung bei der Beschäftigung ließ nicht lange auf sich warten: Die Filiale im Alex-Center wurde umgebaut und  so die Ladenfläche vergrößert, es gibt neue Produkte und ein anderes Kassensystem. „Mit Veränderungen tue ich mir schwer“, gibt Sittauer zu und Ninding ergänzt:  „Das ist Bestandteil der Behinderung.“  Um die erneute Einarbeitung zu erleichtern, hilft wieder der ifd. „Wir können ein Jobcoaching anbieten, damit ein ifd-Berater den Arbeitgeber beim Anlernen unterstützen kann“, erklärt Ninding.  Eine Hilfestellung, die gerne angenommen wird. „Wenn ich mich über die Arbeit austauschen kann, fühle ich mich sicherer. Ich brauche die Bestätigung, dass ich es schaffe“, sagt er. „Dann fällt es mir leichter.“ Veränderungen hat das feste Arbeitsverhältnis ohnehin in sein Leben gebracht. „Ich habe mich jetzt endlich getraut, mir eine eigene Wohnung zu suchen. Ein wichtiger Schritt hin zu einem selbstbestimmten Leben“, sagt er stolz.

 

Text und Bild: Martina Groh-Schad